Kreisarchäologie Archäologie im zentralen Elbe-Weser-Dreieck

Eisenzeitliche Befestigung

Allein auf weiter Flur?

Die eisenzeitliche Befestigung von Wittorf, Ldkr. Rotenburg (Wümme)

von Stefan Hesse

Notgrabungen gehören zum archäologischen Alltag einer unteren Denkmalschutzbehörde. Auch wenn es sich hierbei mehr um ein Reagieren als um ein Agieren handelt, können in nicht wenigen Fällen durch derartige Maßnahmen neue Forschungsfragen aufgeworfen oder bestehende Erkenntnisse umgeworfen werden. Ein solcher Fall ist in Wittorf im Landkreis Rotenburg (Wümme) eingetreten. Am Randbereich des Ortes zwischen den Städten Rotenburg (Wümme) und Visselhövede wurde Anfang der 1990er Jahre in einem bereits bestehenden und genehmigten Sandabbaugebiet mehrere Urnen der jüngeren Bronzezeit bis älteren Eisenzeit (Montelius Periode V bis Jastorf b) entdeckt.

Abb01
Die Sandgrube im Luftbild mit verdeutlichtem Verlauf des Grabens.

Bei einer daraufhin vom damaligen Kreisarchäologen Dr. Wolf-Dieter Tempel eingeleiteten Notgrabung konnten annähernd 200 Bestattungen dokumentiert werden. Dies allein wäre es Wert, eine kleinen Bericht zu verfassen, doch die Fundstelle Wittorf ist seit ihrer Entdeckung stets für eine Überraschung gut. Während der Untersuchung des Urnengräberfeldes stieß Dr. Tempel auf Siedlungsspuren der Zeit um 800 n. Chr. (Archäologie in Niedersachsen 6, 37–38). Die Grabungsarbeiten an dieser möglicherweise mit einem Wall umfassten Siedlung laufen derzeit immer noch. Ein Luftbildbefund ließ hier eine Befestigung vermuten und 2002 stieß Dr. Tempel tatsächlich auf einen mächtigen Wehrgraben. Doch statt einer Rechtsbiegung, die der Graben besitzen müsste, um die sächsische Siedlung zu umschließen, vollführte er eine Linksbiegung! Der Fundplatz wies somit nicht nur ein Urnengräberfeld und eine sächsische Siedlung auf, sondern auch eine Befestigungsanlage. Nun zeigten sich die positiven Aspekte einer Notgrabung: der Sandabbau machte großflächige Untersuchungen notwendig und somit gelang es, nahezu den gesamten noch erhaltenen Bereich freizulegen. Leider stellte sich heraus, dass etwa 60 % der Anlage bereits dem Bodenabbau zum Opfer fiel.

 

Abb02
Pfostenpaare des Hauptwalles in der Profilansicht.

Die innere Befestigung bestand aus einer Reihe von hintereinander angeordneten Pfostenpaaren mit einem Abstand von etwa 1 m. Diese Pfostenpaare hatten wiederum einen Abstand von 0,75–1 m zueinander. Die ehemalige Höhe der Wallfront ist wohl mit etwa 3–4 m zu veranschlagen. Sie wurde entweder durch waagerecht liegende Hölzer oder durch Flechtwerk gebildet. Eine Erdhinterschüttung war für den Innenwall nicht nachweisbar, ist aber anzunehmen. Sie wird eine Breite von 8–10 m besessen haben. Etwa 25–30 m dem Wall vorgelagert befand sich ein 5 m breiter Graben, der ehemals eine Tiefe von über 2 m besessen haben dürfte (Abb. 3). Eine 3 m breite Erdbrücke im nördlichen Bereich gewährte den Übergang. 2004 konnte eine weitere Überraschung festgestellt werden. Dem Graben fand sich etwa 30 m vorgelagert eine Abschnittsbefestigung in gleicher Bauweise wie der Hauptwall. Er konnte auf einer Länge von 60 m nachgewiesen werden (Abb. 4).

 

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Der Graben während der Herstellung der Profilansicht.

Mit den konventionellen archäologischen Methoden sah man sich der Datierung der Befestigung eher hilflos gegenüber. Die Befunde hätten aufgrund von Form und Zusammensetzung in die ausgehende Bronzezeit bis in das Frühmittelalter hinein datiert werden können. Das Fundmaterial war indifferent und zeitlich schwer anzusprechen. Die stratigraphische Situation zeigte lediglich, dass die Anlage älter als die sächsische Siedlung ist. Vielleicht eine Vorgängeranlage? Hatte der Bau etwas mit dem Urnengräberfeld zu tun? Oder stand er in keinem Zusammenhang mit den bislang nachgewiesenen Fundstellen? Glücklicherweise fand sich in dem Graben und in den Pfostenlöchern der Wallkonstruktion mehrfach Holzkohle der abgebrannten Befestigung, die mit Hilfe der C14-Methode analysiert werden konnte. Derzeit liegen vier C14-Daten vor, die alle einheitlich in das 5. Jahrhundert v. Chr. weisen. Eine kleine archäologische Sensation! Bis vor kurzem schien die Verbreitung der nördlichsten Ausläufer der eisenzeitlichen Befestigungen mit dem Ende der Berglandzone und dem Einsetzen des norddeutschen Tieflandes zu enden. Betrachtet man die Anlagen des älteren Eisenzeit, scheinen sie sich verstärkt am Lauf der Leine zu orientieren. Mit dem Nachweis einer möglichen eisenzeitlichen Befestigung in Walle im Landkreis Gifhorn (Archäologie in Niedersachsen 8, 163) schien sich die bisherige Forschungsmeinung aufzuweichen. In Wittorf gelang nun der eindeutige Nachweis einer solchen Anlage weit ab des Hauptverbreitungsgebietes mit weitgehenden Konsequenzen für die archäologische Forschung. Das Fehlen von Befestigungen war u. a. ein Argument, relativ flache Sozialstrukturen für die Jastorf-Kultur zu postulieren. Beispiele wie Walle und Wittorf dokumentieren jedoch, dass es einigen Personen oder Personengruppen möglich war, eine große Anzahl an Menschen für Arbeiten zu mobilisieren. Die Frage nach den Personen geht mit der Frage nach der Funktion einher. Waren es Häuptlinge, Fürsten oder Priester, die die Anlage errichten ließen? War sie Zuflucht in Notzeiten, ständig bewohnte Burganlage, Handelsplatz, Versammlungsort oder Kultanlage? Die geringen Siedlungspuren im Innenbereich können nicht als Indiz für eine fehlende Besiedlung gewertet werden, da sich Siedlungen der Eisenzeit generell nur sehr spärlich in den Siedlungsbefunden widerspiegeln. Man kann jedoch vermuten, dass die Siedlungsaktivitäten nicht allzu intensiv waren. Vermutlich steht die Anlage auch in Verbindung mit dem benachbarten Gräberfeld, da es noch zur Zeit der Errichtung der Befestigung genutzt wurde. Wurde die Befestigung also doch eher zu kultischen Zwecken verwendet oder suchte ein Herrscher die Nähe zu seinen realen oder fiktiven Ahnen? Weitere Forschungen werden hier hoffentlich Licht in das Dunkel der Geschichte bringen.

Es stellt sich weiterhin die Frage, ob die Anlagen von Walle und Wittorf Ausnahmeerscheinungen im nördlichen Niedersachsen sind oder ob vergleichbare Anlagen bislang nur noch nicht entdeckt wurden. Im Bergland nahmen eisenzeitliche Burgen häufig herausragende Höhenpositionen ein, die dann oft im Frühmittelalter oder später weiter benutzt wurden. Der relative Reichtum an verbaubarem Naturstein sorgte für die Anlage von Befestigungen, die über Jahrhunderte hinweg ihre Spuren an der Geländeoberfläche hinterließen. Auch die Scheverlingenburg in Walle wurde im Hochmittelalter benutzt und weist noch heute beeindruckende (leider vielfach verbaute) Wälle auf. In Wittorf ließen jedoch keine Strukturen auf eine solche Anlage schließen: Es gab weder einen Höhenunterschied zwischen Wall und Graben im heutigen Geländerelief noch zeigte sich die Anlage trotz ihrer beeindruckenden Maße auf Luftbildern. Auch Oberflächenbegehungen erbrachten kaum Fundmaterial. Ist nun Wittorf eine große Ausnahme dadurch, dass auch im weiteren Umkreis keine vergleichbaren Anlagen existierten oder gab es durchaus solche Anlagen, die aber lediglich aufgrund ihrer unauffälligen Ausprägung nicht entdeckt wurden? Gerade der Elbe-Weser-Raum hat eine lange Tradition archäologischer Forschung. Lange vor der Ratifizierung und In-Kraft-treten des Niedersächsischen Denkmalschutzgesetzes versahen hier Archäologen ihren Dienst und auch heute weist dieses Gebiet eine gute Abdeckung mit kommunalen Archäologen auf. Somit lässt sich vermuten, dass der Ausnahmecharakter Wittorfs nicht nur mit fehlenden Beobachtungen zu erklären ist. Die Anlage war auch zu ihrer Bau- und Nutzungszeit eine Ausnahme. Doch ob sie derart allein auf weiter Flur war, wie das heutige Verbreitungsbild es vorspiegelt, ist ungewiss und mit einiger Berechtigung sogar unwahrscheinlich.

 

Literatur:

Hofmann, K.: Die Tinsdahler Fibel von Wittorf. Zur Typologie jastorfzeitlicher Plattenfibeln. In: U. Masemann (Hrsg.), Forschungen zur Archäologie und Geschichte Norddeutschlands. Festschrift für Dr. Wolf-Dieter Tempel zum 65. Geburtstag. Rotenburg (Wümme) 2002, 141–175.

Tempel, W.-D.: Frühmittelalterliche Grubenhäuser mit Gewichtswebstühlen bei Wittorf, Stadt Visselhövede. Archäologische Berichte des Landkreises Rotenburg (Wümme) 2, 1991/92, 21–42.

Tempel, W.-D.: Wittorf, Stadt Visselhövede, ein ungewöhnliches Dorf der Zeit Karls des Großen. In: M. Fansa, F. Both und H. Haßmann (Hrsg.), ArchäologieLandNiedersachsen. 25 Jahre Denkmalschutzgesetz – 400 000 Jahre Geschichte.  Archäologische Mitteilungen aus Nordwestdeutschland, Beiheft 42. Stuttgart 2004, 457–460.